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RE: Ansäuerung
Von: Hydroxyethan am 23.09.2014 14:42:25 | Region: Europa
Gruß in die Runde,
ich fühle mich SEHR gebauchpinselt, was für ein Kompliment, ich erröte.
Tja, die Ansäuerung... ein abendfüllendes Thema. Und in meinen Augen (gerade bei hochgradigen Maischen) eher überbewertet. Ziel ist ja, die erhöhte Säuretoleranz der Hefe gegenüber Fremdorganismen zu nutzen, um Fehlinfektionen zu vermeiden/erschweren. Kahm z. B., bei Acetobacter hilfts nix, die stört das nicht. Die hält man mit Sauerstoffmangel und hohen Alk-werten im Zaum. Fruchtmaischen haben aufgrund der Fruchtsäuren schon einen recht niedrigen pH, das reicht. Viel wichtiger ist da ein schnelles Arbeiten am Anfang, um der Hefe einen Startvorteil zu schaffen (die Sache mit dem Reiskorn und dem Schachbrett...), durch gebildetes und gelöstes CO2 senkt diese dann den pH selbst, der gebildete Alk erledigt gegen Ende den Rest. Deswegen bin ich ein Freund von Citrat, das wirkt nur Anfangs, wenn gebraucht, UND dient noch als "Futter" für die Hefe, hilft ihr bei der Proteinbiosynthese über Alpha-Ketosäuren, liefert noch mal 2 Moleküle ATP und NADH und FADH (Elektrönchen), füttert den Malatshuttle der Mitochondrien... Allerdings bildet Citrat zusätzlich (reversible) Chelatkomplexe mit pos. Ionen, kann also den funkt. Elektrolytwert erniedrigen. Dieser Effekt wird z.B. bei Gerinnungswertbestimmungen von Blut in der Labormedizin genutzt, das Citrat entzieht dort die Ca2+ Ionen im Probenröhrchen, stoppt somit die Gerinnung, diese wird dann zur Messung mit Ca-Überschuss im Labor wieder gestartet. Auch EDTA kann das, ist jedoch irreversibel... Das kann bei SEHR elektrolytarmem Wasser und reinen Zuckermaischen vielleicht ein Problem werden? Aber ich schweife ab, sorry.
Zusammengefasst kann man sagen: Bei reinen Zucker (und Honig-)Maischen macht eine Ansäuerung Sinn, auch bei ungezuckerten Fruchtmaischen, da will ich dann auch einen längeren Schutz bei Lagerung. Bei Aufgezuckerten bietet sich Citrat an, weil hier ein Schutz nur Anfangs notwendig ist.
Die tolerierten Werte differieren je nach Hefestamm. Unter 3 sollte man nicht gehen, sonst schwitzt auch die Hefe. Intrazellulär muss sie nämlich wie alle anderen Zellen auch ziemlich genau 7,2 halten. Als sicheres Fenster sollte 3,5-5,5 für den Großteil gelten.
Ansäuern kann man mit vielem, interessant sind da die pKs-Werte bei den org. Säuren. Passen diese, ist eine Überdosierung nicht so tragisch. Bei anorganischen (voll dissoziierbaren) kann das heiß werden, da der pH-Wert nun mal leider nicht linear ist, das Fenster ist da dann sehr eng, es muss sehr gut gemischt und titriert werden.
Biogen M ist für unsere Zwecke eingestellt, bietet sich also an, ist in meinen Augen allerdings überteuert. Man braucht (meist) jedoch nur wenig.
Schwefelsäure geht auch und hat den Vorteil, dass es die säurehydrolyt. Spaltung von Kohlehydraten begünstigt (Stärke, Pektin, aber auch Disacharide wie Sacharose) Das hilft der Hefe. Machen andere Säuren auch, es macht bei Zuckermaischen z. B. Sinn, die Säure schon beim heißen Auflösen des Zuckers zuzugeben, um den Effekt zu nutzen.
Salpetersäure geht auch, liefert Nitrate, die die Hefe super für die PBS findet.
Salzsäure funktioniert, das Chlor kann jedoch Probleme bereiten. Zur pH-Wertsenkung sind die benötigten Mengen jedoch sehr gering.
Milchsäure geht und habe ich Anfangs auch oft benutzt, da ich als Hobbyimker vor Umstieg auf Oxalsäure und Ameisensäure meine Varroosebehandlung damit durchgeführt habe und sie hier hatte. Allerdings: Man schmeckt sie im Produkt, vor allem, wenn man etwas zu großzügig war. Der Geschmack ist nicht wirklich schlecht, manche sagen, es macht den Brand "runder", aber der Effekt ist eindeutig da. Vergleicht und entscheidet selbst.
Essigsäure und Ameisensäure fallen aus.
Weinsäure könnte klappen, habe ich aber noch nicht recherchiert.
Oxalsäure für einen Brand (NICHT Wein, Nierensteine!) vielleicht auch. Vorsicht, wenn als Pulver und nicht als Lösung benutzt, Stäube NICHT einatmen, "Asbestose"-Risiko! (Vor allem bei Verdampfung)
Ascorbinsäure (Vit. C, bitte NICHT mit Zironensäure verwechseln!) wird manchmal im Weinbau als Oxidationsschutz zum Farberhalt propagiert, ist aber gefährlich, da Vit. C im Gegensatz zu z. B. Thiamin für die Hefe KEIN Vitamin, sondern Gift ist. Bremst die Gärung! Deswegen übrigens die Verwendung als ubiquitärer Konservierungsstoff in der Lebensmittelindustrie.
Wer unkonventionelle Wege beschreitet, sollte über ein gutes pH-Meter mit ATC verfügen und rühren, bis ihm der Arm abfällt. Erst NACH Einstellung des pH Hefe zugeben. Bei Turbos ist das etwas blöd, weil die dort zusätzlich enthaltenen Stoffe/Salze auch einen pH-Effekt haben können. Eine Eichlösung sollte vorhanden sein oder angesetzt werden. Lackmuspapier fällt bei gefärbten Maischen (Brombeere z. B.)aus.
Wirklich wichtig ist, ein Verständnis für den pH-Wert zu entwickeln, alles lesen, was Wiki und das Netz hergibt, das Thema ist leider ein wenig komplex und bietet viel Raum für Missverständnisse. Dann gleich Puffer mitrecherchieren, wäre mein Tip.
So, das waren einige Gedanken zu dem Thema, wer Korrekturen oder weiterführende Infos hat, soll sie bitte gerne kundtun. Dies ist nur meine pers. Ansicht, kein Absolutheitsanspruch. Hoffe, ich habe jetzt nicht mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet? Soll in der Naturwissenschaft ja häufiger vorkommen, hi, hi... und sollte ich einen echten Bock geschossen haben, bitte korrigieren. Will ja keinen Schaden anrichten, das Netz vergisst dummerweise nix...
Euer Hydroxyethan